Nachruf – Erinnerung an unsere Mitgründerin Barbara Gissrau
Am 19. Dezember 2008 ist Barbara Gissrau nach langer Krankheit gestorben.
Wir „alten“ Arkunafrauen und das Arkunazentrum bleiben mit Barbara verbunden, solange es uns gibt. Unsere Wege haben sich 1984 getroffen, und aus dieser ersten Begegnung erwuchs auch gleich das allererste Wintersonnwendritual, das Frauen in der Gegenwart öffentlich im Stuttgarter Raum gefeiert haben. Inspiriert von Starhawks Buch, von der Hexenforschung und der wilden, sprühenden Geistin dieser Zeit haben wir dieses Ritual gewagt, und Barbara mit ihrem Mut und ihrer zupackenden Kraft war die tragende Säule dieses gemeinsamen Abenteuers.
Ermutigt durch den großen Zulauf bei diesem Ritual lud Barbara im nächsten Frühjahr Starhawk zu einem Workshop „Die Elemente der Magie“ ein. Dieser Workshop wurde zum Gründungsimpuls für den Arkunavereins, nachdem in der Zeit vorher Barbara zusammen mit Anni immer mal wieder interessante spirituelle Feministinnen zu Veranstaltungen in Barbaras Praxis in die Reinsburgstraße eingeladen hatten.
Das Arkunazentrum durfte dann über viele Jahre hinweg Gast sein in Barbaras Haus. Die monatlichen Treffen der aktiven Vereinsfrauen waren in ihren Räumen. Auch das Büro hatte seinen Ort in der Reinsburgstraße und für viele Veranstaltungen vermietete Barbara dem Arkunazentrum ihren Gruppenraum.
Aktive Arkunafrau war Barbara dann bis zum Jahr 2000, danach war sie passive Mitfrau. In all diesen Jahren ihrer aktiven Zeit hat Barbara dem Arkunaprojekt unzählige Impulse gegeben. Streitbar, humorvoll und mit ihrer Witterung immer auf der Spur von Neuem entfachte sie Debatten, vertiefte sie das Niveau des Nachdenkens und provozierte auch mit Lust.
Besonders wichtig war ihr, dass Frauen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen als Referentinnen geladen wurden. Gleichzeitig war sie in ihrem feministischen Anspruch auch „streng“ und ermutigte uns, konsequent zu sein. Genauso inspirierend wie ihre Fähigkeit zur kritischen Reflektion war, so ansteckend war auch ihr Humor und ihr Lachen. Barbara konnte so witzig sein, so verwegen und lebenslustig. Und so ansteckend authentisch.
Im letzten Jahr ihres Lebens intensivierte Barbara wieder den Kontakt zu uns Arkunafrauen. Wir durften mit ihr Rückschau halten, wir erinnerten uns miteinander an gemeinsame Erfolge, Schwierigkeiten und Abenteuer.
Ein bleibendes Dokument von Barbara Großherzigkeit ist, dass sie uns – zusammen mit den Sapphofrauen – Räumlichkeiten in der Reinsburgstraße als Schenkung vermacht hat.
So freuen wir uns auf die Zeit, bis wir wieder in die Reinsburgstraße zurückkehren dürfen, und bis dort das Arkunazentrum in ihrem Geist blühen kann. Vielleicht gelingt es uns sogar, das Haus in Barbara-Gissrau- Haus umzubenennen – wer weiß?
verfasst von Avesta, Anfang 2009
Auszüge aus der Trauerrede zum Abschied von Barbara Gissrau
von Donate Pahnke McIntosh
Barbara weilt nicht mehr unter den Lebenden, und doch ist sie in gewisser Weise heute präsent. Denn sie selbst hat mich noch zu Lebzeiten mit der Leitung dieser Trauerfeier betraut. Es kommt nicht oft vor, dass eine Trauerrednerin die Feier noch mit der Person planen kann, um die es nachher gehen wird. Bei Barbara geschah es ganz natürlich. Als sie wusste, dass es mit ihr zu Ende ging, teilte sie mir ihre Wünsche für die Ausgestaltung der Feier mit. Und da wir in den über 20 Jahren unserer Freundschaft schon viele Feiern miteinander geplant haben, kam es uns nach einer Weile gar nicht mehr so seltsam vor, ihre eigene Beerdigung zu planen.
Tatsächlich haben wir bei dieser Arbeit sogar ziemlich viel gelacht. Das war typisch für Barbara: der Humor ging ihr nie aus, selbst nicht zuletzt. Ein schöner Effekt unserer ursprünglich eher pragmatisch gedachten Gespräche war, dass Barbara mir dann in einer ganzen Serie von Telefonaten, Emails und bei einem letzten langen persönlichen Treffen viel erzählt hat über die tiefen und wichtigen Dinge ihres Lebens, und auch über ihre Vorstellungen von Sterben, Tod und Jenseitswelt. Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass mir dieser intensive und vertrauensvolle Kontakt mit ihr noch vergönnt war. Wenn wir also heute diese Abschiedsfeier gemeinsam begehen, dann können wir darauf vertrauen dass Barbaras Geist unter uns ist – und vielleicht zwinkert sie uns sogar insgeheim zu. Denn das war etwas, das sie mir ausdrücklich mit auf den Weg gegeben hat: Mach’s nicht zu traurig! Denn da, wo ich dann bin, geht’s mir gut, und ich bin frei.
Barbara kann auf ein unglaublich reiches Lebenswerk zurückblicken. Sie hat in ihrem 65-jährigen Leben zu vielen Menschen Verbindungen hergestellt und gepflegt, beruflich, spirituell, privat und ganz besonders musikalisch.
„Sehnsucht der Frau nach der Frau“, „Sehnsucht nach Verbindung“ – Nicht nur in ihren Buchtiteln, sondern auch in Barbaras Leben hatte der Begriff Sehnsucht eine ganz besondere Bedeutung. Sehnsucht nach Verbundenheit, nach Liebe, nach Freiheit, nach Authentizität. Liebe war für Barbara viel mehr als nur die Liebe eines Paares zueinander. Es ging ihr um die grenzenlose, kosmische Liebe, die sich wohl zwischen Menschen ereignen kann, aber auch zwischen Menschen und Tieren, Pflanzen, Sternen – Liebe zur gesamten Schöpfung. Barbara konnte sich eine gelungene menschliche Existenz ohne Spiritualität nicht vorstellen. Sie hat ein Leben lang mit Fachmeinungen und Therapiekonzepten gehadert, die der Spiritualität gar keinen oder nur einen zweitrangigen oder gar pathologischen Platz einräumten. Für Barbara wurde die spirituelle Dimension zum Leitgestirn ihres Lebens, sowohl in ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung als auch mehr und mehr in ihrem Berufsleben. Dabei vertraute sie am Anfang noch stark auf männliche Autoritäten, um sich im Zuge der Frauenbewegung dann aber immer mehr im weiblichen Denken, Fühlen und Glauben einzurichten.
Die Frauenbewegung brachte für Barbara, wie für so viele von uns, einen großen politischen und spirituellen Durchbruch. Als ich Barbara im Jahre 1987 kennenlernte, hatte sie gerade zwei Jahre vorher das Arkuna-Zentrum in Stuttgart mitgegründet und in ihrem Haus in der Reinsburgstraße untergebracht. Dort wohnte sie auch und betrieb ihre Praxis. Vorangegangen war in ihrer spirituellen Entwicklung ein Wechsel von der männlich orientierten Magie zur weiblichen Form, zu den Neuen Hexen.
Barbara schrieb mir dazu im Brief:
„Damals, als ich Starhawk zum ersten Mal nach Deutschland eingeladen habe, wollte ich ein Gegengewicht zu meinem Lehrer setzen, der ja ein Mann war. Und Männer können ja nicht anders als männlich denken. Alle großen Religionsstifter waren Männer, also manifestiert sich das männliche Denken in allen großen Religionen. Im Laufe meines Feminisierungsprozesses, der damit begann, dass ich mich in eine ganz entschiedene Feministin verliebt hatte, wollte ich herausfinden, ob es auch eine Spiritualität gibt, die Frauen geprägt haben, in der sich weibliches Denken manifestiert. Und da kam ich auf die Hexenbewegung, besonders auf Starhawk. Diese gab mir dann die Adresse einer Hexe, einer Amerikanerin, die gerade „zufällig“ in Stuttgart wohnte. So wurden ich und meine damalige Frauengruppe ihre Schülerinnen für zwei Jahre. Sie bot mir damals auch an, weitere Einweihungen zu kriegen und so die Erste Oberpriesterin ihres Clans in Deutschland zu werden. Das wollte ich dann aber doch nicht. Trotzdem bin ich sehr dankbar, dass ich in diese Hexentradition hineinriechen durfte und natürlich das mitnahm, was ich schön fand, z.B. die Lehre der Sternengöttin und die Hexengebote, die ja eher Erlaubnisse als Verbote sind. Auch dass ich die Göttin-Mutter darin fand, erlebe ich als Bereicherung, die mir bis heute sehr gut tut.“
In jener Zeit wurden Frauenbezüge für Barbaras Leben konstitutiv und blieben es bis zuletzt.
Barbara war nicht nur maßgeblich an der Gründung des Arkuna-Zentrums beteiligt, sondern auch an der Gründung des Feministischen Therapiezentrums (FETZ) in Stuttgart, sowie am Netzwerk Feministische Spiritualität und am Arbeitskreis feministischer Ritualleiterinnen – Kreise, in denen es mir selbst vergönnt war, über lange Jahre intensiv mit ihr zusammenzuarbeiten. Besonders zwei große Highlights habe ich aus diesen Jahren in Erinnerung: Da waren zum einen die großen Reclaiming-Hexentreffen auf der Burg Stettenfels in den Jahren 1988 und 1989, die sich als Vorläufer des deutschen Reclaiming-Witchcamps entpuppten, das ich im Jahre 1996 mit gründete und in dem auch Barbara unterrichtet hat. Zum anderen war da das von Siegrun Laurent organisierte große Fest für fast 1000 Frauen auf dem Hambacher Schloss zur „Ausrufung des Jahrtausends der Frau“ im Jahre 2000. Der Arbeitskreis feministischer Ritualleiterinnen hat sich an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt, und ich erinnere mich noch gut, wie Barbara und ich des Nachts auf unseren Betten im Hotelzimmer saßen und diesen großen politischen und spirituellen Erfolg der Frauen feierten.
Barbaras Abschiedsbrief
Liebe Menschen, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet bin, wenn dieser Brief vorgelesen wird, dann bin ich schon auf einer anderen Ebene.
Ich hoffe, dass es mir dort auch gut geht, wie es mir erfreulicherweise die meiste Zeit meines Lebens hier ergangen ist. Und ich möchte mit diesem Brief nochmals Allem und Allen danken, die dies ermöglicht haben.
Besonders danke ich meinem Körper, der mich 63 Jahre meines Lebens ganz gut begleitet hat.
Dann möchte ich meinen Eltern, meiner Schwester und ihren Kindern danken, die mich lange Jahre ihres Lebens begleitet haben – in schönen und schmerzlichen Zeiten. Ich durfte viel von Euch lernen, auch gerade dann, wenn wir uns weniger gut verstanden haben. Ich danke Euch, dass ihr mich so ertragen habt, wie ich halt bin und war. Und wenn ich jemanden von Euch verletzt habe, dann bitte ich um Verzeihung. Mit meinem damaligen begrenzten Geisteshorizont konnte ich oft nicht anders handeln.
Ich möchte auch allen Freundinnen danken. Mit jeder und jedem habe ich oft ganz neue Bereiche meines Selbst erleben dürfen – einfach indem wir uns mit unserem So-Sein aneinander rieben und uns damit zu erkennen gaben.
Ich danke auch allen Menschen, die mir im Laufe meines Berufslebens begegnet sind. Auch durch sie bin ich reich beschenkt worden und konnte meine Fähigkeiten des Mitgefühls und der Liebe erweitern.
Auch danke ich allen Menschen, die mich in der letzten Phase meines Lebens so liebevoll begleitet haben und durch die ich erleben durfte, was im Leben wirklich zählt – nämlich die Fähigkeit zu lieben. Bei jeder Begegnung mit Menschen, Tieren und Pflanzen durfte ich lernen, diese Fähigkeit zu erweitern – und dafür bin ich Allen sehr dankbar.
Als kleines Zeichen meines Dankes möchte ich jeder/jedem hier Anwesenden eine gelbe Rose überbringen – ein kleines Abbild der Sonne, die ich immer sehr geliebt habe. (Barbara Gissrau)